Palliative Versorgung und hosipzliche Begleitung unter Bedingungen der Corona-Pandemie

Zum Ende der ersten Phase des Projektes PiCarDi ereilte uns die globale COVID-19 Pandemie, die den Alltag der Begleitung von Menschen mit Behinderung erheblich beeinflusst hat und deren Auswirkungen auch in den kommenden Jahren noch bestimmend sein werden.
Im folgenden werden die Ergebnisse einer systematischen Recherche dargestellt, die zu Beginn der zweiten Projektphase (2020) durchgeführt wurde.


Vorgehensbeschreibung

In der Phase der Auswertung der Erhebungen im Projekt PiCarDi wurde die Notwendigkeit deutlich, sich systematisch der Frage zu nähern, wie sich die Situation von Menschen mit geistiger Behinderung (in der palliativen Versorgung/ hospizlichen Begleitung) unter den Bedingungen der globalen Pandemie COVID-19 verändert. Neben aktiver Netzwerkarbeit und internationalen Kooperationen zur Erhebung spezifischer Daten (PEPIC-19 Studie), entstand eine systematisierte Literaturrecherche, in der aktuelle Studien im Zeitraum zwischen Juni 2020 und Dezember 2020 identifiziert und die Ergebnisse zum Stichtag 15. Januar 2021 zusammenfassend ausgewertet wurden.

Orientiert am Verfahren der systematischen Literaturanalyse (Stand-alone literatur review) wurde in verschiedenen Datenbanken in regelmäßigen Abständen mittels einer Schlagwortsuche nach aktuellen Forschungsvorhaben gesucht, die sich mit folgender Forschungsfrage befassen:

 

„Wie gestaltet sich die Situation von Menschen mit geistiger Behinderung (in der palliativen Versorgung/ hospizlichen Begleitung) unter den Bedingungen der globalen COVID-19 Pandemie?“


Die Sichtung des Forschungsstandes machte schnell deutlich, dass es keine Studien gibt, die sich dezidiert mit der Frage der palliativen Versorgung/ hospizlichen Begleitung von Menschen mit geistiger Behinderung n der Pandemie auseinandersetzen. Der Suchbereich wurde um die allgemeine Situation von Menschen mit geistiger Behinderung unter den Bedingungen einer globalen Pandemie erweitert. Neben qualitativen Studien sollten auch quantitative Erhebungen identifiziert werden, die Informationen zu COVID-19 Infektions- und Mortalitätsraten bei Menschen mit geistiger Behinderung in Deutschland bieten.

Nach einer ersten Sichtung der insgesamt 76 gefundenen Texte wurden mit Blick auf die Ausgangsfragestellung und den gesteckten Themenbereich Ausschlusskriterien entwickelt, um den Datensatz zu konzentrieren.

Am Ende konnten zwölf Studien identifiziert werden, die sich mit der Situation von Menschen mit geistiger Behinderung unter den Bedingungen der globalen Pandemie COVID-19 auseinandersetzen und zum Stichtag 15. Januar 2021 bereits Ergebnisse präsentieren konnten.


Eine detaillierte Beschreibung des methodischen Vorgehens, inklusive der Suchbegriffe, der durchsuchten Datenbanken sowie der Ausschlusskriterien erhalten Sie hier als Download.

Infektions-, Mortalitätsraten und Co-Morbidität bei Menschen mit geistiger Behinderung international

Im Rahmen der Literaturanalyse konnten mehrere Studien identifiziert werden, die sich mit Infektions- und Mortalitätsraten bei Menschen mit geistiger Behinderung befasst haben.

Anhand der internationalen Analysen aus Ländern wie den Vereinigten Staaten, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich wird deutlich, dass Menschen mit einer geistigen Behinderung grundsätzlich nicht aufgrund ihrer geistigen Behinderung gefährdeter sind. Die Fallsterblichkeit liegt im internationalen Durchschnitt bei knapp 5% und unterscheidet sich damit nicht signifikant von der Fallsterblichkeit bei Menschen ohne Behinderung. Insgesamt kann allerdings festgestellt werden, dass Menschen mit geistiger Behinderung, die an COVID-19 versterben, im Durchschnitt jünger sind. Wie Studien zur Komorbidität bei den konkreten Sterbefällen zeigen, dass Menschen mit geistiger Behinderung, die an COVID-19 verstorben sind, oftmals eine epileptische Erkrankung hatten, mit chronischen Atemwegs- oder Kreislauferkrankungen lebten, oder einen erhöhten Body-Mass-Index hatten. Deutlich wurde ebenfalls, dass Menschen mit Down-Syndrom oftmals einen schweren Verlauf der Covid-19 Erkrankung erfahren, da sie häufiger Begleiterkrankungen haben, welche einen schweren Krankheitsverlauf begünstigen.


Mehr Information zu den Ergebnissen über Infektions- und Mortalitätsraten erhalten Sie hier als Download.


Ergebnisse zur Situation von Menschen mit geistiger Behinderung unter den Bedingungen einer globalen Pandemie

Neben den Analysen von Infektions- und Mortalitätsraten haben sich die identifizierten Studien vor allem über (Online-) Befragungen von Angehörigen, Fachkräften der Eingliederungshilfe (bzw. der jeweiligen Disability Care Services in den Ländern) sowie verschiedener Fachdienste und Menschen mit geistiger Behinderung den psychosozialen Auswirkungen der ersten Monate der Pandemie genähert.

Angehörige beschreiben zunächst eine große Sorge um ihre behinderten Angehörigen, diese Sorge bezieht sich zum einen auf die medizinische Versorgung (auch auf Triage Regelungen, die behinderte Menschen benachteiligen könnten), aber auch die psychische Gesundheit ihrer behinderten Angehörigen. Wohnt der behinderte Angehörige in einer Einrichtung, wird an einigen Stellen auch die Kommunikation mit der Einrichtung als problematisch thematisiert.
Angehörige, die mit Menschen mit geistiger Behinderung zusammenleben, beschreiben eine hohe psychische Belastung, auch ökonomisch und gesundheitlich sind diese Angehörigen besonders von den Auswirkungen der Pandemie betroffen. Insgesamt wird ein Wegfall an Unterstützung beschrieben.

Fachkräfte beschreiben eine große Sorge vor einer eigenen Infektion mit COVID-19. Die Sorge, den Virus in die Einrichtung zu bringen, ist ebenfalls an verschiedenen Stellen als sehr ausgeprägt dargestellt.
Fachkräfte betrachten den Wegfall der Tagesstruktur ambivalent. Die Umsetzung von Hygienemaßnahmen wird bspw. als herausfordernd beschrieben, gleichzeitig gibt es Hinweise auf eine Entschleunigung durch den Wegfall vieler Außentermine, die durchaus begrüßt und als positiv empfunden wird.

Als durchweg negativ beschreiben die Fachkräfte die gesellschaftliche Anerkennung der Berufe. Mit Blick auf Deutschland wird die nicht klare Regelung einer Auszahlung des sog. Corona-Bonus problematisiert, auch Personalmangel in den Einrichtungen und vakante Stellen, für die es kaum Bewerber*innen gibt, werden als zusätzlich belastend eingeschätzt.

Menschen mit geistiger Behinderung selbst beschreiben den Wegfall der Tagesstruktur und die stark veränderte Mobilität (hier vor allem Arbeit und Freizeit, auch Urlaubsreisen) als besonders gravierend. Viele befragte Menschen mit geistiger Behinderung beschreiben hier eine soziale Isolation, die sich auf ihr Wohlbefinden auswirkt. Auch der Wegfall von unterstützenden Angeboten oder der begrenzte Kontakt mit Betreuer*innen (v.a. in ambulanten Wohnkontexten oder in der Familie) werden als problematische Auswirkung der Pandemie beschrieben.
Die Nutzung von Online Medien und Tools wird vereinzelt als besonders aufregend benannt und es wird betont, dass diese wichtig sind, um Selbstständigkeit zu erhalten.

Der Eindruck einer Überforderung wird durch die Einschätzung von Angehörigen und Fachkräften an vielen Stellen verstärkt. Aus dieser Perspektive wird mehrfach benannt, dass es deutlich zu Überforderungen kommt, die unterschiedlich erklärt werden (bspw. fehlende Möglichkeit zum Verständnis der Situation aufgrund der geistigen Behinderung oder fehlende verständliche Informationen über die Situation). Auch erhöhter Stress und vermehrte Ängste sowie klinische Depression werden seitens der Fachkräfte und der Angehörigen beschrieben. Der Personenkreis hat nachweislich einen schlechteren Zugang zum Gesundheitssystem und es besteht seitens der Angehörigen und vieler Fachkräfte die Befürchtung, dass Menschen mit geistiger Behinderung im Gesundheitssystem nicht adäquat begleitet werden können, da hier zu wenig Kompetenzen in der Begleitung von Menschen mit geistiger Behinderung vorhanden sind.

Mehr Informationen zur Auswertung der Studien erhalten Sie hier als Download.


Im Folgenden finden Sie einige weitere Informationen:

Pressemitteilung der Katholischen Hochschule NRW (April 2020):

Erste Studien zu Menschen mit geistiger Behinderung und COVID-19: Keine höhere Sterberate bei Erkrankten mit geistiger Behinderung

Extra-Newsletter der Katholischen Hochschule NRW (April 2020):

Menschen mit Beeinträchtigung in der Corona-Pandemie

Leitfaden zur Unterstützung nach einem, durch Corona bedingten, Todesfall von Irene Tuffrey-Wijne und Sheila Hollins (2021):

Wenn jemand an Corona stirbt: ein Leitfaden für Familien und Betreuende


Stellungnahme zu den Folgen der COVID-19-Pandemie aus fachwissenschaftlicher Perspektive

Nachfolgend finden Sie eine aktuelle Stellungnahme der Konferenz der Dozentinnen und Dozenten der  Pädagogik bei Beeinträchtigungen der körperlich-motorischen Entwicklung (KME) in den deutschsprachigen Ländern zur COVID-19-Pandemie

Die Stellungnahme können Sie hier herunterladen (Externes Material).

 

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