Vorgehen im Teilprojekt Münster

Projektbericht PiCarDi-D

Das PiCarDi-D-Projekt führte eine Bestandsaufnahme zur Praxis der Begleitung von Menschen mit geistiger und schwerer Behinderung am Lebensende in Wohneinrichtungen der Eingliederungshilfe durch. Diese Untersuchung erfolgte in mehreren Schritten: Zunächst wurden vorhandene Daten zu Sterbefällen in Wohneinrichtungen analysiert und Konzeptpapiere daraufhin untersucht, in welcher Weise die Begleitung am Lebensende bereits berücksichtigt wird. In einem zweiten Schritt wurden eigene Erhebungen durchgeführt: Mittels einer Online-Befragung wurden Leitungskräfte von Einrichtungen der Eingliederungshilfe in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Sachsen nach Rahmenbedingungen befragt und Mitarbeitende in der direkten Begleitung konnten ihre Erfahrungen zu konkreten Sterbefällen in einem weiteren Fragebogen dokumentieren. Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser ersten Schritte fanden Expert*innen-Interviews mit Leitungskräften und Fachkräften in unterschiedlichen Wohnsettings der Behindertenhilfe in den drei Bundesländern statt. In der Auswertung wurden Gelingensfaktoren und Herausforderungen in der Begleitung am Lebensende in der Behindertenhilfe herausgearbeitet. Im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse dieses Teilprojektes vorgestellt.

Im Folgenden hören Sie ein Interview mit einer Forscherin über die Befragungen in Einrichtungen für Menschen mit geistiger Behinderung.

© Daniela Eschkotte, Barbara Schroer

1. Wie stellen sich die Bedingungen des Sterbens in Wohneinrichtungen der Eingliederungshilfe dar?

In der Datenanalyse bestätigte sich die Tendenz, dass Sterbefälle in der Eingliederungshilfe in den letzten Jahren deutlich zunehmen. Für die große Mehrheit der Einrichtungen, die auf die Online-Befragung geantwortet haben (N=152), ist das Thema Begleitung am Lebensende (sehr) bedeutsam und sie beschäftigen sich überwiegend auch bereits intensiv mit dem Thema. Etwa ein Viertel der Einrichtungen gab an, dass sie bisher noch keine oder nur vereinzelte Sterbefälle zu verzeichnen haben. Fast alle Einrichtungsleitungen sind der Meinung, dass die Begleitung von Menschen mit geistiger Behinderung am Lebensende ein Auftrag der Eingliederungshilfe sei. Es überwiegt daher auch eine ablehnende Haltung gegenüber Umzügen, wenn der pflegerische Unterstützungsbedarf alters- und krankheitsbedingt steigt. Bei der Befragung zur Zusammenarbeit mit möglichen externen Kooperationspartnern zeigt sich, dass diese mit ambulanten Hospizdiensten, spezialisierter ambulanter Palliativversorgung (SAPV)/ Palliativnetzen und Kirchengemeinden relativ häufiger vorkommt als eine Zusammenarbeit mit stationären Hospizen und Palliativstationen im Krankenhaus. Durch die Befragung zu konkreten Sterbefällen (N=72) konnte ein durchschnittliches Sterbealter von 60,4 Jahren ermittelt werden. Die Verweildauern der verstorbenen Personen in der Einrichtung und in den Wohngruppen sind für einen Großteil der Verstorbenen recht lang. Entsprechend ist die Wohngruppe für einen erstaunlich hohen Anteil der Menschen auch der Sterbeort: Für 57,0% der Verstorbenen war die Wohngruppe der Sterbeort, während in der sogenannten Allgemeinbevölkerung mehr als 50% der Menschen im Krankenhaus versterben (bei Menschen in der Eingliederungshilfe sind dies 38%). Zudem zeigt sich die hohe Bedeutung der Begleitung durch vertraute Mitarbeitende in Wohneinrichtungen: Anlass der Diagnosestellung der zum Tode führenden Erkrankung waren in drei Vierteln der Fälle Veränderungen, die Mitarbeitende wahrgenommen hatten.

2. Wie sehen die konkreten Erfahrungen in der Begleitung am Lebensende aus Sicht von Leitungskräften und Fachkräften in verschiedenen Wohnformen aus? Was ist Ihnen wichtig, was gelingt, was gelingt weniger gut?

In 15 leitfadengestützten Interviews in den drei Bundesländern entstand ein Überblick über eine recht heterogene Realität der Begleitung von Menschen mit geistiger und schwerer Behinderung am Lebensende. In der Auswertung kristallisierte sich ein Modell heraus, an dem sich zeigt, dass eine gute Begleitung von Menschen mit geistiger Behinderung am Lebensende vom optimalen Zusammenspiel von drei zentralen Dimensionen abhängt: einer konsequenten Personzentrierung, einer Kultur der Präsenz des Themas Sterben, Tod und Trauer in der Organisation sowie der funktionalen Versorgungssicherheit. Die Ausprägung dieser Dimensionen ist abhängig von Basisannahmen der beteiligten Akteur*innen, die sich in der Haltung, den Emotionen und dem Rollenverständnis des Mitarbeitenden und der Organisation zeigen. Diese wiederum sind gerahmt von sozialhistorischen und sozialpolitischen Bedingungen. Im anschließenden Reflexionsschritt wurden vier typischen Deutungs- und Handlungsmuster in der Begleitung am Lebensende in Organisationen der sog. Behindertenhilfe herausgearbeitet.

3.    Wie wird in der Begleitung am Lebensende die Leitidee der Teilhabe umgesetzt?

Aufgrund der Anforderungen in der Umsetzung sowohl der UN-Behindertenrechtskonvention als auch des Bundesteilhabegesetzes kommt der Leitidee Teilhabe im Feld der sog. Behindertenhilfe eine zentrale, die Zukunft der Angebotsgestaltung bestimmende Bedeutung zu. Bei der Auswertung aller erhobenen Daten spiegelt sich das wider. Mittels der qualitativen Erhebung lässt sich konkret beschreiben, wie in Einrichtungen der Eingliederungshilfe Teilhabeleistungen bis zum Ende des Lebens erbracht werden. Aus der quantitativen Befragung liegen um den Themenkomplex Teilhabe an bzw. Umgang mit Entscheidungsprozessen am Lebensende u.a. Ergebnisse zur Häufigkeit des Vorliegens von Patientenverfügungen (20,3%) und Vorsorgevollmachten (12,7%) sowie zu durchgeführten ethischen Fallbesprechungen (43,0% der Fälle) vor.

4. Wie stellt sich die Zusammenarbeit der Einrichtungen der Eingliederungshilfe mit dem System der Hospizarbeit und Palliativversorgung dar?

Zur Frage der Kooperation zwischen den Hilfesystemen wurde in jedem Bundesland ein Standort ausgewählt, an dem alle drei Verbundteamprojekte eine Erhebung durchführten. Die Kooperation stellt sich danach sehr unterschiedlich dar. Lücken und Schnittstellen lassen sich mithilfe von Netzwerkkarten und mit den Mitteln der Netzwerkanalyse gut abbilden. Insgesamt zeigt sich deutlicher Entwicklungsbedarf im Blick auf die Kooperation der Systeme.

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